Druckversion - "Buchhalter von Auschwitz": Früherer SS-Mann Oskar Gröning ist tot - SPIEGEL ONLINE

Mercredi 14 Mars 2018

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12. März 2018, 18:15 Uhr

Früherer SS-Mann Oskar Gröning ist tot

Von Sven Becker, Jörg Diehl und Ansgar Siemens

Der frühere SS-Mann Oskar Gröning ist tot. Der Rentner war 2015 in einem aufsehenerregenden Prozess wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Der als "Buchhalter von Auschwitz" bekannt gewordene frühere SS-Mann Oskar Gröning ist tot. Nach SPIEGEL-Informationen starb der 96-Jährige am Freitag in einem Krankenhaus. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover sagte auf Anfrage: "Wir haben einen entsprechenden Schriftsatz des Anwalts von Herrn Gröning erhalten." Eine Sterbeurkunde liege seiner Behörde jedoch bislang nicht vor.

Das Landgericht Lüneburg hatte Gröning 2015 wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Freiheitstrafe verurteilt. (Lesen Sie die Hintergründe dazu hier.) Im Dezember 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht dann, dass Gröning haftfähig sei und seine Strafe antreten müsse. Eine Beschwerde aus Gesundheitsgründen wies Karlsruhe ab.

Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte angekündigt, ihm zeitnah eine Ladung zum Strafantritt zu schicken. Gröning hatte daraufhin ein Gnadengesuch an die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) gerichtet.

Zeitenwende im Umgang mit dem Holocaust

Grönings Fall war besonders in der deutschen Rechtsgeschichte, weil er eine Zeitenwende im Umgang mit den Verbrechen des Holocausts markierte. Über Jahrzehnte hatten die Behörden nur diejenigen verfolgt, die zur Leitung der Konzentrationslager gehört oder selbst gemordet hatten oder durch besondere Grausamkeit aufgefallen waren, sogenannte Exzesstäter. Von den 6500 SS-Leuten des Vernichtungslagers Auschwitz, die den Krieg überlebt hatten, wurden in der Bundesrepublik gerade 29 verurteilt; in der DDR waren es rund 20.

Noch im Mai 1985 hatte die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main das Ermittlungsverfahren gegen Gröning und Dutzende weitere Männer aus der Häftlingsgeldverwaltung des Konzentrationslagers Auschwitz eingestellt. Es fehle ein "hinreichender Tatverdacht", schrieb ein Oberstaatsanwalt damals. Gröning könne keine Beihilfe zum Mord vorgeworfen werden, weil "die Kausalität seiner Tätigkeit für den Erfolg der Vernichtungsaktion nicht gegeben" gewesen sei, hieß es später. Die Staatsanwaltschaft in Hannover sah den Fall anders und klagte Gröning im August 2014 erfolgreich an.

Gröning selbst hatte sich zu seiner Vergangenheit immer bekannt - auch in diversen Vernehmungen (Lesen Sie hier sein Porträt). Er war einer der wenigen ehemaligen KZ-Wachleute, die öffentlich mit ihrer moralischen Verantwortung rangen.

Gröning begann, über seine Vergangenheit zu sprechen, um Holocaust-Leugner zu widerlegen. Seine Aufzeichnungen, mit denen er mitteilen wollte, was er getan hatte und was nicht, sollten anderen die Augen öffnen. Später waren sie rechtlich von Bedeutung. Die Ermittler schlossen daraus, dass Gröning vom Massenmord in Auschwitz gewusst und trotzdem mitgemacht hatte. Er habe mit seinem Dienst in der Verwaltung und auf der Rampe, hieß es im Urteil gegen ihn, den reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschinerie gewährleistet.

Gröning tat sich mit seiner juristischen Schuld hingegen immer schwer. Er sah sich nicht als Täter, sondern als Mitläufer, als unbedeutendes Rädchen im Getriebe einer Mordmaschinerie. Dem SPIEGEL sagte Gröning vor vielen Jahren: "Ich fühle mich schuldig gegenüber dem Volk der Juden, in einer Truppe gewesen zu sein, die diese Verbrechen begangen hat, ohne dass ich dabei Täter war. Das jüdische Volk bitte ich um Verzeihung. Und den Herrgott bitte ich um Vergebung."

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